Sechsundsechzig Mark sechsundsechzig © Jacques Lupus |
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In den achtziger Jahren reparierte ich Großrechner
in einem jungen, dynamischen Team,
wie es heutzutage so schön definiert wird. Der Verdienst stimmte, sodass
ich meiner Familie mit drei Kindern
ein sorgenfreies Leben bieten konnte.
Unser Teamleiter war ein versierter Mann, dem man so leicht nichts vormachen
konnte!
Zusammen waren wir in unsere Aufgaben hineingewachsen, zusammen machten wir
unseren Job
und hin und wieder trafen wir uns in einer unserer Stammkneipen, um ein gepflegtes
Bier zu trinken und die Sorgen,
wenn es solche wirklich gab, hinter uns zu lassen.
Wir waren Kollegen, Freunde und Streitgefährten.
Meinen Urlaub hatte ich auf der Insel Hiddensee
verbracht. Mit etwas Glück erhielt ich den Zuschlag,
und nach wundervollem Tage am Strand vom Dornbusch war ich gut erholt in unserer
Thüringer Metropole zurückgekehrt.
In der Regel fingen wir mit dem Spätdienst zu arbeiten an. Das gab noch
ein wenig Aufschub
zum Alltag. Ausgeschlafen und gut erholt trat ich in die Dienststelle, und
es begann der übliche Ablauf eines Außendienstmitarbeiters.
Begrüßung der Einsatzzentrale, checken der Aufträge für
die Schicht, Abholung der Ersatzteile im Lager
und Vorbereitung des Einsatzfahrzeuges. Da wir jeden Tag ein anderes Auto
hatten, gab es schon ein paar Turbulenzen,
aber schließlich waren wir jung und dynamisch genug, um diese kleinen
Hürden zu meistern.
In unserer Ablage fand ich einen Spesenzettel
für die Zeit, als ich in der Sonne Hiddensees meine Bauch braun brennen
lies.
"Typisch!" dachte ich mir. "Das ist halt unser Teamleiter.
Perfektion in Person.
Eigentlich hätte er sich das sparen können, denn im Urlaub gibt
es keine Spesen."
Unser Teamleiter als versierter Mann hat seine
Hobbys. Das war zum einen das Telefonieren
und zum anderen die deutsche Rechtschreibung. Einem Schulmeister gleich fand
er akribisch
jeden Fehler im Text, und wenn es statt einem Komma ein Semikolon war, das
er versetzte.
Besonders in den Reiseberichten bekam ich das zu spüren.
Andererseits war das angenehm, denn hie und da schliche sich ein grober Schnitzer
ein, der natürlich beseitigt werden musste.
Dankbar nahm ich seine Hinweise an.
Als ich den Spesenzettel in der Hand hielt,
hatte ich plötzlich den Schalk im Nacken.
Wahllos schrieb ich einige wenige Dienstreisekosten zusammen, so das es schließlich
den Betrag von 66,66 Mark in Worten:
sechsundsechzig Mark und sechsundsechzig Pfennige ergab.
Daran war eigentlich schon erkennbar, dass
mit der Abrechnung etwas nicht stimmte.
Um aber ganz sicher zu gehen, setzte ich noch einen drauf!
Ich schrieb aus:
sexundsexzig Mark und sexundsexzig Pfennige.
Diesen lustigen Abrechnungsschein legte ich in das Fach meines Teamleiters und freute mich diebisch auf die erneute Belehrung.
Welch Wunder erlebte ich, als ich Tage nach
meinem Ulk in mein Fach schaute.
Ich hielt die Spesenabrechnung in der Hand, unterschrieben und genehmigt vom
Teamleiter.
Korrigiert waren lediglich die X zu einem CHS/ CHZ, so wie es die deutsche
Rechtschreibung nun mal vorsieht:
Sechsundsechzig Mark sechsundsechzig Pfennige.
Wie ein Schulbube hatte ich dem Lehrmeister ein Schnippchen geschlagen.
Ich ließ mir die 66,66 Mark auszahlen und bei passender Gelegenheit gab es Freibier im Team.
Nach langen Jahren vertraute ich meinem Freund
und Teamleiter alles an, weil es mir auf der Seele drückte,
was ihn schon wurmte. Nachdem ich aber wieder eine Freirunde Bier bestellt
hatte, verflog sein Ärger langsam.
Mit Sicherheit hat er es mir irgendwann heimgezahlt, denn er konnte auch wütend
werden.
Das aber habe ich längst vergessen, denn immerhin war er unser Chef.
Ein guter Chef will ich meinen!
Heute denke ich daran wie an eine Geschichte
aus Tausend und einer Nacht und bin froh, diese Zeit erlebt zu haben.
Nicht auszudenken, wie derartige Sachen in unserer heutigen Zeit abgehandelt
werden.
Da wird mit Abmahnung, Kündigung oder
gar fristloser Kündigung gehandelt. Und es herrscht der Euro,
den viele Menschen schon liebevoll oder wütend Teuro nennen.
Das alles lässt aber die Erinnerung an eine schöne, gemütliche
und gemeinsame Zeit in den Hintergrund rücken.
Unser Teamleiter aus dieser Zeit lebt nicht
mehr, da er bei einem Unfall vor langen Jahren verstarb.
In meiner Erinnerung lebt er aber weiter als Freund und Mensch,
der in die Welt passte und Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden konnte.
Seine Art zu leben und zu handeln machte das Miteinander lebenswert.