Die Mauer
( Zufällige Übereinstimmungen mit dem wahren Leben wären rein zufällig!)
Ganze zweihundert Jahre alt war die alte Scheune auf dem Bauernhof. Treu hatte
sie seinen Eigentümern als Speicher für Getreide, Stroh oder Klee
gedient. Eine Dreschmaschine war sinnvoll in ihr integriert, und viele Tonnen
Getreide waren hier gelagert, gedroschen und verarbeitet worden.
Der Urgroßvater Fritz hatte die Scheune zusammen mit dem Anwesen im 19.
Jahrhundert gekauft. Geld zum Sanieren der Gebäude blieb oft nicht übrig,
und der Zahn der Zeit nagte schon lange am Bauzustand.
Sie geriet völlig in Vergessenheit, als im sozialistischen Frühling
im Jahr 1960 die selbständigen Landwirte ihren Lebensunterhalt in Genossenschaften
verdienen mußten.
Auch in der Landwirtschaft änderten sich die Technologien. Schwere körperliche
Arbeit
entfiel fortan, da moderne Maschinen, wie die Mähdrescher, Kartoffelrodemaschinen
oder große Strohpressen die Arbeit machten. Die kleinen Ackerflächen
der Bauern wurden großflächig zusammengelegt, die Erträge stiegen
durch Anwendung moderner landwirtschaftlicher Erkenntnisse und Technologien.
Wenn auch dieser und jener Landwirt nicht gerade freiwillig in der Genossenschaft
arbeitete, hatte doch der Fortschritt auch auf den Dörfern Einzug gehalten.
Die alten Wirtschaften wurden, wenn überhaupt, für private Tierzucht
genutzt.
Das Schlachtfest war dann der Höhepunkt im Jahr. Frische selbstgemachte
Wurst war und ist
eine Delikatesse!
Die alte Scheune schlummerte so für sich hin. Ungenutzt nahm sie ihren
angestammten Platz auf dem Bauernhof ein. Und das Wetter sowie die Zeit hinterließen
ihre Spuren.
" Hildegard!" rief die Nachbarin über Telefon mehrmals an."
Mir fallen schon die Ziegel auf den Kopf." Meine Mutter wurde nach dem
dritten Anruf sichtlich nervös. "Was soll nur werden?" jammerte
die Mutter. " Wir reißen die Scheune ab!" entschied ich.
Die Nachbarin entstammte ebenfalls einer Bauersfamilie des kleinen Ortes im
Thüringer Land.
Nach den Kriegsende hatte sie einen Umsiedler aus dem fernen Ostpreußen
geheiratet. Erich, ein recht aufgeschlossener Mensch, hatte als junger Mann
den Krieg heil überstanden und sich im Dorf etabliert. Den Sportverein
baute er entscheidend auf, als Handwerker war er stets und immer zur Stelle,
wenn Hilfe nötig war. Sein Gruß ist höflich und bestimmt.
Nach dem Krieg und den Erfahrungen, die er hier gesammelt hatte, stand sein
Entschluß fest.
Er wurde aktives Mitglied der SED Deutschlands, stand treu und fest zu den Idealen
eines
Kommunisten; selbst nach dem Zusammenbruch der DDR ordnete er sich in die Reihen
der Nachfolgepartei PDS, Partei des demokratischen Sozialismus, ein.
Nun hatten die Bonzen der SED mit aller Kraft versucht die geschichtlichen
Lehren auf den Kopf zu stellen. Die wichtigste Lehre der Geschichte ist es nun
mal, daß stets und immer
die Ökonomie die Gesellschaft bestimmt. Wer das Geld hat, hat früher
oder später auch die
politische Macht. Von der Urgesellschaft an ist dieser rote Faden zu erkennen.
Bis hin zum
Kapitalismus hatten immer wieder die modernen Produktivkräfte und - mittel
das Geschehen diktiert. Das taten sie auch im Projekt des real existierenden
Sozialismus/ Kommunismus,
Der Kommunismus versuchte nun mit hohen Idealen die Entwicklung der Geschichte
zu beschleunigen. Gemeinsam ging es voran! Alle sollten glücklich sein.
Die Mittel dabei waren nicht immer überzeugend, die Menschen dachten nach
wie vor kleinbürgerlich. In Scharen verließen deutsche Familien den
kommunistischen Teil Deutschlands. Bis hin zum Substanzverlust! Auch Bauern
kehrten der DDR den Rücken.
Die berühmte Berliner Mauer entstand und teilte ganz Europa in zwei Lager
und Deutschland in zwei Völker. Immerhin vierzig Jahre dauerte dieser Zustand!
Keinem im Osten Deutschlands ging es schlecht, alle hatten ihr Auskommen; und
doch reichte das nicht aus. Kein Vogel unserer Mutter Erde fühlt sich wohl
im goldenem Käfig!
So erging es auch den Ostdeutschen im " Goldenen Käfig DDR ".
So kam das, was kommen mußte: Die Mauer fiel, und wildfremde Menschen
lagen sich, Tränen in den Augen, in den Armen und feierten eine ganze Nacht
hindurch dieses
geschichtsträchtige Ereignis. Das Ende des Kommunismus in der politischen
Macht Osteuropas war gekommen. Keiner in Deutschland wollte mehr dieses Regime,
das am Ende angekommen war.
Die Einheit Deutschlands nahm mit all seinen positiven und negativen Konsequenzen
seine Lauf.
Die Mauer wurde dabei fast völlig demontiert; kleine Reststücken blieben erhalten zum Andenken. Maler verewigten sich in ihren Bildern auf den Mauerresten.
Die Veränderungen in den vergangenen vierzig Jahren waren jedoch nicht
ohne Folgen geblieben. Wie ein Gespenst existiert in den Köpfen der Menschen
die Mauer weiter.
" Die Ruhe hat mich nicht gestört!" sagt ein Großcousin
meiner Frau aus Oberfranken, einst völlig abgeschirmt durch Stacheldraht
nach Ost, Nord und sogar West. Der Flugplatz Nürnberg in die weite Welt
war für ihn frei erreichbar, die Wirtschaft erlaubte ihm und seiner Familie
einen guten Lebensstandard. Arbeitsplätze gab es genug!
Plötzlich gab es eine weit aus größeres Arbeitskräftepotential.
Selbst aus dem nahen Tschechien kommen die Arbeitskräfte und arbeiten für
einen Hungerlohn. Die Unternehmer nutzen dies, um ihren eigenen Profit zu vergrößern.
Alte kapitalistische Gesetze kommen voll zur Wirkung.
Auch in unserem Dorf, das im Mittelpunkt des wiedervereinigten Deutschlands
liegt, hat sich viel verändert. Auf Initiative des Gemeinderates entstand
ein neues Wohngebiet, wo achtzig neue Häuser gebaut wurden. Der Fortschritt
hält trotz hoher Arbeitslosigkeit weiter an.
Unser Haus, das noch 1989 einen Einheitswert von ganzen 6.000,00 ostdeutschen
Mark hatte, ist nun einige Hunderttausende wert. Die ökonomischen Verhältnisse
sind wieder einmal Richtung Kapital verrutscht und haben sich durchgesetzt.
Dank der unermüdlichen Arbeit des Altkommunisten Erich hat aber die PDS
in Wundersleben eine hohen Stellenwert. Entgegen allen jüngsten geschichtlichen
Abläufe in ganz Deutschland erreicht die PDS in Wundersleben satte 30%
und mehr bei den Wahlen!
Über den Sportverein profiliert sich Erich in seiner Persönlichkeit.
Immer wieder in der ersten Reihe steht er und verkündet Fortschritt und
Gemeinschaftssinn. Viele Sympathie erntet er damit! Der Kreis schließt
sich durch die Arbeitsmarktverhältnisse. In Thüringen herrscht die
Arbeitslosenquote von 15,9 % und verunsichert die Bürger.
" Da muß sich doch etwas ändern!" und die Meinungen der
Menschen prägt sich in den Wahlergebnissen.
Erich hatte in vielen Stunden als mein Nachbar geholfen, unser altes Haus zu
modernisieren.
Viel Geschick liegt in seinen Händen; was er anfaßt gelingt.
" Was soll ich nur mit den vielen Steinen in der alten Scheune anfangen!"
stellt sich die Frage.
" Wenn du mal die Scheune abreißt, bauen wir damit eine Mauer!"
antwortet mir Erich.
" Eine Mauer muß schon auf die Grundstücksgrenze."
"Sind die Mauerzeiten nicht vorbei?" frage ich.
Meine Frage blieb unbeantwortet; ich vergaß das Gespräch, und wir
machten wie alte Freunde Hand in Hand unsere Arbeit. Irgendwann war das Haus
rekonstruiert, der Schuppen erstrahlte in neuem Glanz, der Stall bekam ein neues
Dach. Und da war plötzlich die inzwischen baufällige Scheune, die
sich nach völliger Vergessenheit in unser Gedächtnis zurück rief.
Ein Projekt hatte ich schon lange im Schreibtisch liegen: Ein kleiner etwa 60
cm hoher Sockel sollte auf dem alten Fundament der alten Scheune entstehen und
Basis für einen schmucken Jägerzaun bilden.
Eine Grundstücksgrenze wie im Bilderbuch sollte entstehen; maßvolle
Trennung für Mensch und Tier. Die Schäferhündin TINA ist mir
vertraut und schaut gern über den Zaun im Garten. Wir mögen uns insgesamt
alle! Ein offenes Europa entsteht um uns herum. Offen soll die Beziehung auch
zu meinen Nachbarn sein.
Freundliche natürliche Hecken oder leichte Zäune mit freiem Blick
grenzen das Eigentum ab. Mein Entschluß stand fest!
Und dann kam die Entscheidung.
"Wenn die Scheune abgerissen wird, muß eine Mauer von einer Höhe
2,5 m entstehen!"
Die Forderung des Nachbarn ist klar und läßt keinen Widerspruch zu.
Mit der Nachbarschaft muß Frieden herrschen.
Natürlich ist das alte Fundament für die neue 2,5 m Mauer zu schwach!
Drei Nachbarn helfen
ganze 80 Arbeitsstunden, reißen das alte Fundament heraus. schaffen ein
Neues und bauen ein Mauer 2,5m hoch. Aus der Traum mit dem freundlichen Jägerzaun!
" Auch ich will die Mauer!" entscheidet meine Frau. " Meine Ruhe
brauche ich schon."
Die alte Scheune haucht ihr Existenz aus, die hohe Mauer prägt das Anwesen
und teilt mein Grundstück zu dem meines Nachbarn Erich.
In meiner Hoffnung bleibt aber der Wunsch, daß sie nicht unsere Herzen
trennen!
© copyright by Jacques Lupus
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Michael Sergejewitsch Gorbatschow * 1931 |
Der Staatspräsident der Sowjetunion, Michael S. Gorbatschow,
veränderte wie wenige Politiker des 20. Jahrhunderts die Welt.
Als Dank dafür, dass er eine Entwicklung einleitete, die auch zur Aufhebung
der deutschen Teilung und zur Wiedervereinigung von Berlin führte,
verlieh ihm die Stadt die Ehrenbürgerwürde Berlins.
Als Sohn eines Mähdreschers im Nordkaukasus geboren,
studierte Gorbatschow in Moskau Jura und machte eine typische Parteikarriere
in der KPdSU.
1985 wählte ihn das Politbüro zum Generalsekretär der KPdSU
und damit zum mächtigsten Mann der UdSSR.
Nach kurzer Amtszeit verkündete er sein Programm der radikalen Umgestaltung
(Perestroika) und der Offenheit (Glasnost).
Er beabsichtigte, die Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft überzuführen
und setzte auf militärische Abrüstung.
Dies führte 1987 zur historischen Vereinbarung mit den USA, alle Mittelstreckenraketen
der Supermächte zu beseitigen.
Im September 1989 ermöglichte er nach 45 Jahren Teilung die deutsche
Einheit, ein Jahr später wurde er mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.